Zugvögel fliegen in einer Formation
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Sie kommen zurück

Heute habe ich das vertraute Geräusch wieder gehört: Die Zugvögel, diese verrückten Tiere. Heute jedoch aus der anderen Richtung: Es ist Anfang April und sie sind auf der Rückreise, aus dem Süden Richtung Deutschland.

Letztes Jahr im Herbst habe ich darüber geschrieben, was sie zum Jahresende in mir auslösen: Neugierde, Sehnsucht, Melancholie. Schaute ihnen bis zur Nackenstarre nach, wohl wissend was ihre Abreise für mich in naher Zukunft bedeuten würde: Kälte, Dunkelheit, ein Winter, der sich spätestens ab Ende Januar ins Unendliche dehnen würde.


Und so kam es, zumindest in meinem kleinen Universum der Empfindungen. Lang und grau und kalt, bis heute und noch viel, viel weiter. Also alles wie immer, und doch wieder anders intensiv. Irgendwie wird’s ja gefühlt doch jedes Jahr schlimmer. Luxusprobleme, aber deswegen fühlt es für mich in dem Moment eben auch nicht weniger scheiße an.

Und jetzt? Anfang April? Wo alles wieder gut sein und Versöhnung in der Luft liegen sollte? Nix is! Immer noch saukalt! Hartnäckige 0°C zeigt das Thermometer morgens. An den Fakten können auch die Zugvögel nichts ändern.

Und doch merke ich, als ich sie beobachte: Zugvögel können Emotionen und Gefühle in mir auslösen – und zwar je nach Jahreszeit ganz verschiedene.

Wie damals schaue ich beeindruckt nach oben, in diese makellose V-Kombination aus dutzenden Flugtieren. Frage mich erneut, wie sie das hinkriegen: Wie die krassesten Synchronflieger. Eigentlich ist es doch unfassbar.

Sie sind also zurück! Was sie wohl denken? Vielleicht erstmal sowas wie „Ach du scheiße, sind wir zu früh …?!“. Ja, viel zu kalt, wie gesagt.

Wahrscheinlich denken sie sich aber eher „Scheiße, zum Glück haben wir die Rückreise geschafft, sind weder verhungert, verdurstet, noch wurden wir irgendwo abgeschossen. Ab ins sichere Berlin-Brandenburg – yes! Endlich wieder der gewohnte Trott – vorausgesetzt, wir finden unseren Kiez in unversehrtem Zustand wieder“.

In mir löst dieses Bild heute irgendwie Erleichterung aus: „Hey, endlich, da seid ihr ja! Welcome back!“. Die sicheren Vorboten für endlich Frühling, für Temperaturen über 10 Grad, für dünnere Jacken. Als würde man einen Freund oder eine Freundin nach längerer Fernreise begrüßen, weil sich mit seiner bzw. ihrer Wiederkehr etwas bestimmt zum Guten hin wenden würde. Aber no Pressure.

Ich stelle mir vor, wie die Zugvögel ankommen: Im lässigen Sinkflug hinabschwebed, braun-gebrannt, die Gegend auschecked mit der Sonnenbrille noch auf der Nase und mit einem Hauch zu viel südländischer Leichtigkeit, der ihnen dann an der ersten Luftkreuzung von anderen Stadtvöglen ausgetrieben wird.

Natürlich weiß ich, dass die „Freiheit“, die diese Tiere in meinem romantischen reisebesessenen Gehirn verkörpern, keine ist. Sie fliegen weg, um zu überleben, und müssen dann wieder zurückkommen, weil es die Natur eben so will. Dazwischen setzten sie nicht weniger aufs Spiel, als ihr Leben.

Ich hingegen bin am Boden im sicheren Wald zum Wandern unterwegs, genieße die Stille, auch wenn sie kalt ist. Hinter mir rumort das gierige Großstadt-Monster mit einem Sound aus Autos, Hektik und Blaulicht. Irgendwas löst sich in mir, oder ich lasse irgendwas los. Anspannung, vor allem. Geil.

Ich denke nach, übers Aufbrechen, übers Ankommen, übers Zurückkommen und alles, was dazwischen passiert. Ich liebe alles davon, auch wenn es nicht immer einfach ist. Ich freue mich auf die Zeit des Reisens, weil ich weiß, dass sie mich verändert. Dass auch am Ort, den man für eine Weile verlässt, die Welt nicht stillstehen und sich Dinge verändern werden – vor allem in Berlin. Alles passiert immer.

Auf Reisen nehme ich meist intensiver wahr, was alles um mich herum passiert, auch die alltäglicheren Dinge. Ich frage mich, ob das rein am Tapetenwechsel liegt, dass man genauer hinschaut und sich vor allem auch mehr Zeit dafür nimmt. Oder ob in meinem Alltag wirklich weniger „passiert“.

In dem Moment bemerke ich das „kleine Mäuschen“ aka Pflegehund, der neben mir her trottet. Er schaut mich mit seinen treudoofen Rehaugen unschuldig an, so als wollte er sagen: „Doch! Ich passiere gerade! Merkst du eigentlich noch was?!“. Recht hat er. So süß, unfassbar. Gut, dass er da ist, hier bei mir.

Ich überlege, was wohl die Schnatternasen weit über mir denken würden, wenn sie mich und das Mäuschen so sehen würden. Als waschechte Berliner Vögel wahrscheinlich sowas wie „Na Fräulein, gilt da unten etwa keine nicht Leinenpflicht?! Schild hamwa wohl überlesen, wa …?!“.

„Typisch“, denke ich, noch nicht mal die Koffer ausgepackt, aber schon direkt alles besser wissen.
Ich verwerfe den Gedanken, aber schaue mich doch sicherheitshalber um, dass mich niemand bei meinem todesmutigen Verstoß beobachtet.
Lauf Hündchen, lauf!

Die Vögel sind zurück, nisten sich wieder in der Heimat ein. Und ich fühle es deutlicher denn je: Für mich ist es Zeit, aufzubrechen.

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